Weniger Lachgasemissionen dank massgeschneiderter Technologien
Interview mit Stefan Binggeli, Inhaber des Lachgasprogramm-Betreibers Infraconcept
Umweltingenieur ETH
Stiftung KliK: Herr Binggeli, wie genau funktioniert das Förderprogramm "Lachgasreduktion in ARA", das von Ihrer Firma Infraconcept geführt wird?
Was vor einigen Jahren noch nicht klar war, weiss man heute: Viele ARA haben Lachgasemissionen, teilweise sind diese sehr hoch. Insgesamt geht man davon aus, dass die Lachgasemissionen für rund zwei Drittel der Treibhausgasemissionen der Schweizer ARA verantwortlich sind. Aktuell haben Kläranlagen vier Optionen, diese Emissionen zu reduzieren. Auf der einen Seite gibt es den Ansatz, die Entstehung von Lachgas zu verhindern. Dazu gehören die Massnahmen einer separaten chemischen Faulwasserbehandlung (Stripping), die Dynamische Regelung und Off-Gasmessung (DynARA) sowie der Ersatz des Sharon-Verfahrens. Auf der anderen Seite gibt es die Möglichkeit, das Gas nach der Entstehung bei sehr hohen Temperaturen zu verbrennen. Nicht jede Massnahme ist für jede Anlage geeignet.
Seit wann werden die einzelnen Reduktionsmassnahmen gefördert?
Als Infraconcept 2017 gemeinsam mit den Partnern Eawag und AVA Altenrhein mit der Mission startete, die Lachgasemissionen auf ARA zu reduzieren, stand die Forschung ganz am Anfang. Die separate chemische Faulwasserbehandlung, also das Stripping, war die einzige Technologie, die bekannt und wirksam war. Seither wurden neue Emissionsquellen entdeckt und neue Technologien entwickelt. Seit 2019 ist das Stripping beim BAFU zur Förderung durch die Stiftung KliK registriert. 2022 starteten wir die Überarbeitung des Programms für die drei neuen, oben genannten Massnahmen. Diese wurden ein Jahr später ins Förderprogramm aufgenommen.
Wie wurden die Massnahmen entwickelt?
Zusammen mit der Eawag und in Modellanlagen anhand konkreter Projektideen, bei denen wir Versuche, Messungen und Analysen durchführen konnten.
Welche konkreten Ziele wurden mit der Erweiterung des Programms verfolgt?
Mit der Öffnung hin zu mehr Technologien wollten wir weiteren Kläranlagen ermöglichen, wirkungsvolle Klimaschutzmassnahmen zu ergreifen und ins Förderprogramm aufgenommen zu werden. Gerade das Faulwasserstripping können viele ARA nicht umsetzen, weil ihre Anlagen zu klein dafür sind. Der Branche hat die Erweiterung einen ziemlichen Boost gegeben. Sechs weitere Kläranlagen haben sich schon neu angemeldet und sind daran, Projekte umzusetzen.
Wie hoch ist das zusätzliche Einsparvolumen der neuen Massnahmen?
Wir hatten für das Förderprogramm initial mit 15’000 Tonnen CO₂-Äquivalent pro Jahr an möglichen Einsparungen gerechnet. Nun sehen wir bereits, dass das Klimaschutzpotenzial mit den drei neuen Massnahmen deutlich gesteigert werden kann. In einigen Jahren erwarten wir Emissionsreduktionen von 40’000 Tonnen CO₂-Äquivalent pro Jahr und mehr.
Welche Faktoren beeinflussen die Wahl des optimalen Verfahrens?
Die chemische Faulwasserbehandlung eignet sich für grosse, regionale Kläranlagen mit zentraler Schlammentsorgung, also mit besonders viel Fremdschlamm. DynARA eignet sich für Belebtschlammanlagen jeder Grösse mit einer Denitrifikationsleistung unter 65 Prozent. Der Ersatz des Sharon-Verfahrens eignet sich für bestehende Faulwasser-behandlungen nach dem Sharon-Verfahren und die Verbrennung für Festbett-Biologien und zweistufige Anammox-Anlagen.
Welche Unterstützung bietet Infraconcept den ARA bei der Teilnahme am Programm?
Im Vergleich zu anderen Förderprogrammen sind die Technologien im Lachgasprogramm komplex. Jede ARA ist ein Unikat und funktioniert anders. Zudem ist auch die Dynamik von Lachgas, also dessen Entstehung und Bekämpfung, sehr komplex. Wir unterstützen die ARA bei der Analyse und der Auswahl der für sie individuell optimalen Technologie sowie beim Aufsetzen des Projekts. Aufgrund der hohen Komplexität ist diese Beratung zentral, damit die Massnahme zur Anlage passt, technisch funktioniert und förderberechtigt ist. Ganz wichtig dabei ist: Eine Anmeldung beim Förderprogramm muss passieren, bevor Investitionen ausgelöst werden!
Welche Herausforderungen bergen die Massnahmen und deren Umsetzung für die Anlagen?
Jeder Massnahmentyp ist aufwendig, entweder finanziell – insbesondere das Stripping und die Verbrennung – oder im Betrieb, zum Beispiel DynARA. Die Anlagen brauchen geschultes Betriebspersonal vor Ort und zum Teil externe Betreuung durch Ingenieurbüros. Dieses Know-how bereitzustellen, ist eine Herausforderung für sich.
Welche Trends sehen Sie in der Entwicklung der ARA-Technologien in den nächsten Jahren?
In puncto Lachgas sind im Förderprogramm jene Technologien abgebildet, die heute bekannt und gut entwickelt sind; jetzt geht es vor allem um die Anwendung. Potenzial sehe ich bei Verbrennungs-prozessen und in der Entwicklung von Abscheidungstechnologien.